Einfach hat es der bosnische Leichtathletik-Verband nicht, wie Generalsekretär Mehmed Lokmic berichtete. Der 54 Vereine umfassende Verband mit seinen rund 3000 Athlet:innen, wovon die Hälfte an Wettkämpfen teilnimmt, erhält aus dem Sportfördertopf des Landes lediglich 11.000 Euro – pro Jahr wohlgemerkt. Insgesamt verzeichnet der Sport in Bosnien Förderungen des Sportministeriums von gerade einmal 400.000 Euro pro Jahr – in Summe für alle Verbände. Von der Republika Srpska – eine durch Abspaltungsbestrebungen derzeit omnipräsente Region im Norden – erhält der Verband keinerlei Zuwendungen.Weitere Budgetmittel, welche ebenfalls nicht immer geregelt und sicher sind, kommen aus Förderprojekten durch European Athletics und World Athletics. Das Jahresbudget beläuft sich somit auf rund 100.000 Euro. Damit müssen sämtliche Kosten gestemmt werden – inklusive aller nationaler Meisterschaften und internationaler Entsendungen. Eine Mammutaufgabe für den Ein-Mann-Betrieb Lokmic. Das Büro befindet sich unscheinbar in einem Wohngebäude im ersten Stock und ist von außen nicht erkennbar. Im Inneren des Treppenhauses dann wenigstens durch eine farblich sehr gelungen Fassade.
Trotz der sehr klammen finanziellen Lage konnte der Verband Athleten von internationalem Top-Format hervorbringen. Der 800-m-Spezialist Amel Tuka sticht dabei hervor. Mit Silber bei der WM in Doha 2019 und Bronze in Peking 2015 ist Tuka der unumstrittene Star der bosnischen Leichtathletik. Kugelstoßer Mesud Pezer wurde immerhin Fünfter bei der Hallen-WM in Birmingham 2018 und U20-Europameister 2013 in Rieti. 2019 startete dieser beim Liese Prokop Memorial und wurde zweiter hinter dem Polen Konrad Bukowiecki.
Meeting zum „Working together – Succeeding Better”
Lokmic präsentierte interessante Einblicke in diverse Inklusions- und Diversitätsprogramme sowie Projekte Bosniens. Nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens im Jahr 1992 folgte erst noch der Bosnienkrieg bis einschließlich 1995. Durch zahlreiche Verwundete aus dieser Zeit wuchs das Bewusstsein für nachhaltige Sport-Strukturen der Paralympischen und Special Olympics-Bewegung. Der Sport spielte eine zunehmend wichtigere Rolle in Bezug auf Versöhnung und Zusammenhalt zwischen zuvor sich bekriegenden ethnischen und religiösen Gruppen.
Organisationen wie das Paralympische Committee Bosniens wurde 2007 gegründet. In anderen Sportarten, wie Fußball, wurden Projekte wie „Football for Peace“ ins Leben gerufen und auch das UN Women Office öffnete in Sarajevo seine Pforten.
Trotz der positiven Schritte in die richtige Richtung, wie Lokmic festhält, bestehen zahlreiche Herausforderungen für den Verband. Neben den finanziellen Angelegenheiten besteht ein Defizit der Infrastruktur – die kulturellen und sozialen Barrieren sind im täglichen Leben teils noch immer spürbar, besonders für Menschen mit Behinderungen. Die Entwicklung von Gesetzen zur Stärkung dieser Personen ist längst überfällig.
Vortrag zu E-Athlet- IGNY App
Die negative Entwicklung der allgemeinen körperlichen und mentalen Fitness der Jugendlichen und der Gesellschaft im Allgemeinen ist offensichtlich, so Lokmic. Durch den häufigen Konsum der Smartphones entwickle sich das Gehirn bei Kindern in vielen Fällen nicht dem Alter entsprechend. Konzentrationsschwierigkeiten, schnelle Ermüdung und Schwierigkeiten beim Lösen diverser Aufgaben wurden in Studien von Elmir Cerimagic festgestellt. Zusätzlich dazu hat der übermäßige Medienkonsum degenerative Auswirkungen auf den Bewegungsapparat sowie das Körpergewicht. Um dieser Dysbalance entgegenzuwirken, wurde die App IGNY entwickelt. Das Handy der Kinder und Jugendlichen kann nach Installation dieser App nur genutzt werden, wenn gewisse Aufgaben – wie zB ein kurzer Lauf oder ein Spaziergang etc – täglich bis zu einem gewissen Zeitpunkt gemeistert werden.
Allgemein, so Lokmic, fördere der Sport zusätzlich die Ausschüttung des Hormons Dopamin. Dazu veranschaulichte Lokmic ein einprägendes Beispiel seiner Jugend. Während des Krieges in seiner Heimat in den 90er Jahren spielte dieser mit Freunden im Innenhof Fußball. Daran zurückdenkend kann er sich erinnern, dass er trotz der Wirren des Krieges im direkten Umfeld, lachen konnte. Der Sport half seinen Freunden und ihm diese triste Phase zu überstehen.
Interaktiver Workshop
Zum Abschluss fand ein Workshop mit Jugendlichen des Leichtathletik-Vereins Novi Grad aus Sarajevo statt. Das Ziel war es, zu formulieren, wie man junge Athlet:innen in der Leichtathletik in Bosnien halten könne. Folgende Punkte wurden dabei ausgearbeitet:
• Bewerbung der Leichtathletik in sozialen Netzwerken und allen weiteren Medien
• Bewerbung in Schulen – auch für Wettkämpfe
• Bewerbung bei Behörden/Ministerien
• Interaktion mit anderen Sportarten und Vereinen
• Umfrage unter den Kindern und Jugendlichen
• Bewerbung der Vielfältigkeit der Leichtathletik
European Athletics Council Meeting kommende Woche
Ab Dienstag tagt das European Athletics Council in Sarajevo. Wichtige Entscheidungen für die europäische Leichtathletik werden in Beschlüsse gefasst. Möglicherweise gibt es im Anschluss daran Neuigkeiten zum Austragungsort der übernächsten Freiluft-EM 2028 – Silesia in Polen dürfte ein aussichtsreicher Kandidat sein.
Sarajevo als Olympiastadt
Sarajevo war bereits Austragungsort Olympischer Spiele. 1984 fanden die Olympischen Winterspiele statt – aus österreichischer Sicht bedauerlicherweise keine besonders erfolgreichen. Lediglich Anton Maier konnte im Abfahrtsrennen mit einer Bronzemedaille Edelmetall nach Österreich bringen.
Österreichs Beteiligung an der Geschichte Bosnien
Ein besonders geschichtsträchtiger Ort – direkt bei der Latin Brücke – befindet sich ebenfalls in der bosnischen Hauptstadt. Sarajevo bildete zu Zeiten der K.u.K. Zeit den Ausgangspunkt vom Ende der Donaumonarchie. Mit dem Attentat durch Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 am österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Ehefrau Sophie löste Princip zuerst die Julikrise – eine Zuspitzung der Spannungen zwischen den damaligen fünf Großmächten Großbritannien, Frankreich, Preußen, Österreich/Ungarn und Russland – aus. Diese mündete schließlich in den Ersten Weltkrieg und läutete damit auch den Untergang der Donaumonarchie ein.
Text- und Bildquelle: Österreichischer Leichtathletik-Verband